Eine Hand, die sich selbst an einer Wand abgedrückt hat. Vielleicht wurde nach dem Abdrücken mit etwas Farbe nachgeholfen, damit der Abdruck kraftvoll zur Geltung kommt. Auch die Hand selber ist kraftvoll. Sie hat zwei Farben. Blau als das Zeichen für Tiefe und Treue. Rot als Zeichen der Liebe, des Schmerzes, vielleicht des Opfers. Das Bild ist schlicht, die Geschichte zum Bild ist groß. Unfassbar groß. Dass uns gleich die Geschichte zum Bild einfällt, liegt am roten Punkt in der Mitte der Handfläche – dem Wundmal.
Mit diesem Bild öffnet sich uns die ganze Geschichte Jesu. Seine helfenden Hände; sein Teilen des Brotes am Gründonnerstag und am Tisch in Emmaus; sein Segnen der Jünger, als er sie in die Welt schickt, damit sie von Gott und Jesus erzählen. Auf vielen anderen Bildern sehen wir, wie Jesus segnet: meist mit einer erhobenen Hand.
Der Handabdruck auf diesem Bild zeigt uns aber auch das Innere der Geschichte Jesu. Dieses Innere ist einmal die Treue Gottes – die Treue Jesu zu Gott und die Treue Gottes zu seinem Sohn auch dann, wenn Gottes Handeln nicht zu verstehen war. Zum anderen erkennen wir die Liebe Jesu, mit der er Menschen und Gott begegnet. Die Liebe Jesu geht so weit, dass er sich als Opfer versteht. Ohne sein Opfer würden die letzten Stunden in Gewalt ausarten.
Treue, Liebe, Segen – all das zeigt die hier abgebildete, vielleicht segnende Hand. Die Geschichte der Liebe Gottes und der Liebe Jesu stirbt nicht. Die Liebe stirbt nicht, sie verstummt nur. Aber bald spricht sie dann auch wieder.
Ostern ist ein Sieg der Liebe, erzählt uns dieses schlichte und starke Bild. Gott will, dass im Zweifel das Opfer gewinnt und nicht die Gewalt. Gott will, dass der Segen gewinnt und nicht die Rücksichtslosigkeit; dass die Liebe gewinnt und nicht die Verachtung. Die Hand zeigt die Treue Gottes zu Jesu Leben und Liebe. Sie erinnert auch daran, was Hände tun und lassen.
Es gibt ein Gedicht der polnischen Schriftstellerin Wisława Szymborska (1923 – 2012), die 1996 den Literaturnobelpreis erhielt für ihre Dichtung. Das Gedicht trägt den Titel „Hand“. Es beschreibt die Knochen, Muskeln und Nerven einer Hand und sagt zum Schluss sinngemäß: All das reicht vollkommen aus, um entweder „Mein Kampf“ zu schreiben oder „Pu der Bär“. Mit unseren Händen können wir grob sein und vernichten; wir können aber auch einfühlsam sein und Menschen aufrichten.
Nach Ostern sollten wir nicht bleiben, die wir sind. Wir sollten uns zur Liebe, zur Fürsorge hin verwandeln. Gott möchte, dass der Segen gewinnt und nicht die Rücksichtslosigkeit. Das dürfen wir uns sagen lassen von der verwundeten und kraftvollen Hand auf diesem Bild. Jesus, der Auferweckte, segnet auch die Jünger, die ihn verleugneten oder die in Panik weggelaufen sind. Jesus erbaut auch Petrus, der immer tapfer redete und dann von nichts wissen wollte. Jesus legt sein Wollen in die Hände und Herzen der Jünger, die eine Weile brauchten, um die Auferstehung zu glauben und zu verstehen.
Jesus lässt sie nicht allein; lässt sie auch heute nicht allein – lässt uns nicht allein, wenn wir uns zur Liebe, zur Fürsorge hin verwandeln wollen. Wir sollten jetzt, nach der Feier des Osterfestes, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Da soll noch etwas sein: ein Schubs für unser Herz. Wo kann ich mich und wie kann ich mich ein wenig verwandeln hin zu mehr Fürsorglichkeit, zu mehr Zuwendung zu anderen? Wo und wie kann ich mit meinem Herzen und mit meinen Händen Menschen erbauen, aufrichten, statt sie zu übersehen oder zu vergessen? Wo sollte ich auf mein Interesse verzichten, damit mehr Frieden möglich ist?
An Ostern, dem Sieg der Liebe über Schrecken und Tod, gibt uns Gott einen Schubs hin zur Liebe und zum Leben.
Ihnen allen wünsche ich die österliche Freude und den Segen unseres Gottes. Bleiben Sie behütet und bewahrt!
Pfarrer Reinhard Fischer